Musik, die Freundin des Tango
Die Musik führt das zusammen, was den Unterschied zwischen dem Mann (dem „Macho“) und der Frau (der „puren Weiblichkeit“) ausmacht. Es kommt also darauf an, wie man sich zusammen nach der Musik bewegt, wie man zusammen die Musik interpretiert – wie man als Paar in die Musik hineinschwimmt. Bestimmte Musikstücke erzeugen bei uns eine bestimmte Assoziation. So geht man beispielsweise bei einer langsamen, erdigen Milonga automatisch mehr in die Knie. Und genau darum geht es. Einmal Techniken zu vermitteln, wie man bestimmte Musikstücke in Bewegung umsetzt und zum anderen das natürliche Bewegungsmuster im Körper zuzulassen. Und zwar zusammen – als Paar.
Feinfühliges Führen ist der Schlüssel zur Kreativität
Wie soll man die Partnerin sensibel führen, wenn diese doch partout nicht dahin laufen will, wo man(n) es sich vorgestellt hat? Die Erfahrung zeigt, das Männer (die Führenden) dazu neigen, die Sensibilität zu verlassen und mit Kraft zu führen („Hauruckmethode“). Hier muss der Führende cool bleiben. Andererseits kann die Frau dem Mann das Führen sehr erleichtern, wenn sie bei einem Führungsfehler nicht irgendwohin läuft; sie sollte sensibel und mit Gefühl stehen bleiben und warten, wie es weitergeht. Keinesfalls sollte sie (psychologischen) Druck auf den Führenden ausüben. Denn durch das Warten der Frau bekommt der Führende ein Feedback, dass da wohl etwas schief gelaufen ist. Beide Partner lernen, mit dem Körper zu kommunizieren. Mit dieser Art der Führung erschließt sich noch ein weiterer Vorteil: Die Geführte denkt nicht mehr Schritte voraus, sondern „denkt“ allenfalls soweit, wie sie geführt wird. Von einem Schritt zum nächsten. Der Tango wird plötzlich ungeheuer spannend. Denn völlig entspannt und genussvoll, kann die Frau auf sich zukommen lassen, was passiert. Selbst Schritte, die sie schon kennt, können plötzlich durch eine kleine Variation eine ganz neue, interessante Wendung erfahren. Andererseits, der Mann kann plötzlich eine Variation führen, denn er kann den Pfad fest vorgegebener Schritte verlassen, weil die Frau diesen Pfad gar nicht erst betreten hat. Schrittkombinationen spielen dann keine besondere Rolle mehr (an dieser Stelle sei auf den Artikel „Tango Argentino: 8 Tipps für den Einstieg in das Tangoleben“ verwiesen); der Mann kann sich auf seine Partnerin, auf die Umgebung und auf die Musik konzentrieren. Der Mann bemüht sich, der Frau einen schönen Tanz zu schenken. Es ist jedoch ein Geschenk, wo man nicht so richtig weiß, was „drin“ ist (denn der Tanz kann sich in jede Richtung entwickeln). Und die Frau? Sie nimmt dieses Geschenk an und freut sich. Und da der Verfasser dieser Zeilen ein Mann ist, weiß er, dass sich ein Mann freut, wenn sein Geschenk angenommen wird. Mehr noch, er wird sich bemühen, immer „schönere Geschenke“ zu machen. D. h. im Klartext, er wird sich bemühen, immer besser zu führen. Und sie beschenkt ihn, indem sich sich ganz auf den Partner einläßt.
Colgadas: Glücksgefühle im Körper
Zu einem Highlight im Tango gehören sicherlich die Colgadas. Mann und/oder Frau geben ihre Achse (ihr Gleichgewicht) auf und bewegen sich über oder drehen sich um einen gemeinsamen, imaginären Schwerpunkt. So wie beim Rock’n’Roll spezielle Würfe oder Stopps das Erscheinungsbild bei einem Tanz prägen, so ist ein typisches Merkmal beim Tango (u. a.) die Colgada. Dennoch, die Colgadas und ihre Spielarten dazu sind relativ selten zu sehen. Zwei Dinge spielen eine entscheidende Rolle. Erstens, man kann Colgadas nicht so einfach lernen wie Schrittkombinationen. Colgadas verlangen Übung und Körperbeherrschung. Das heißt aber auch, dass man nicht jahrelang Tango getanzt haben muss, um diesen Ablauf zu erlernen, denn es kommt auf das (gemeinsame) Üben dieser Bewegungsform an. Zweitens: Die Colgadas sind nicht für jede Art von Musik geeignet. Man muss wissen, wie sich der Spannungsbogen innerhalb des Musikstückes entwickelt, um dann zum Höhepunkt hin eine Colgada zu tanzen. Das gemeinsame Glücksgefühl, welches man hier erfährt, läßt sich nur schwer mit Worten ausdrücken. Es ist wie eine Droge. (Michael Kronthaler) Artikel wurde 2010 erstellt. Immer noch ziemlich aktuell. Eine Überarbeitung steht mal an. (mk)